Karriere- und Gehaltscoach Martin Wehrles seziert die Koalitionsverhandlungen. Seine Kernaussagen im Überblick:
Zur Verhandlungs-Taktik
Die SPD hat gewieft, die Union amateurhaft verhandelt. Das (bisherige) Ergebnis der Koalitionsverhandlungen legt den Verdacht nahe, die CDU/CSU sei nur Juniorpartner der SPD, nicht Wahlgewinner. Der große Fehler der Union: Sie hätte die angekündigte Mitgliederbefragung der SPD mit demselben Instrument kontern müssen. Stattdessen ist sie erpressbar geworden. Man ist in einer Verhandlung immer nur so stark wie seine Alternativen. Die SPD hat eine. Die Union nicht.
Aber: Die SPD muss aufpassen, dass ihre Erfolge nicht wieder dem Wählerkonto von Frau Merkel gutgeschrieben werden. Verhandlungserfolge wollen (dauerhaft) gut verkauft sein!
Zum Mindestlohn
Der Mindestlohn ist überfällig, aber kein Patentrezept: Erstens liegen 8,50 Euro nur einen Hauch über dem Existenzminimum. Zweitens leisten die Deutschen jedes Jahr 1,5 Milliarden unbezahlte Überstunden – dafür greift kein Mindestlohn. Und drittens verhindert ein Mindestlohn nicht, dass sich immer mehr Menschen kaputtarbeiten. Die Burn-out-Quote hat sich in den letzten sechs Jahren verelffacht. Wir brauchen nicht nur anständige Gehälter, sondern auch anständige Arbeitsbedingungen. Hier wären neue Gesetze fällig!
Zur Lohnangleichung zwischen Männern und Frauen
Nirgendwo sonst in Europa werden Frauen im Vergleich zu Männern so schlecht bezahlt wie in Deutschland: Sie bekommen 22 Prozent weniger. Die Große Koalition will dieses Unrecht beseitigen. Allerdings wüsste ich gerne, woher das zusätzliche Geld kommen soll: Werden Gehälter aus der Lohntüte der Männer zu den Frauen umgeleitet? Werden unterbezahlte Frauenberufe, etwa im Pflege- oder Servicebereich, insgesamt hochgestuft? Bislang habe ich nur eine windige Absichtserklärung gehört – aber keine konkreten Umsetzungsvorschläge.
Zur Frauenquote in Aufsichtsräten
Es ist richtig, für Aufsichtsräte eine 30-Prozent-Frauenquote einzuführen – aber diese Regelung hat für die allermeisten Frauen keine Relevanz. Wichtiger wäre es, jungen Mitarbeiterinnen die Möglichkeit zu verschaffen, Familie und Führungskarriere miteinander zu verbinden. Denn die Frauen, die am Ende ganz oben fehlen, gehen schon auf der Gruppen- oder Abteilungsleiterebene verloren. Hier müsste der Gesetzgeber ansetzen, auch mit einem Anspruch auf Führungspositionen in Teilzeit-Arbeit.
Buchtipp: Der Karriereberater und Bestsellerautor Martin Wehrle kennt den Wahnsinn in deutschen Firmen. In seinem Buch „Bin ich hier der Depp?“ zeigt er, mit welchen Tricks Mitarbeiter ausgebeutet werden, warum es keinen Feierabend mehr gibt und warum Multitasking die Burnout-Quote erhöht, aber nicht die Arbeit beschleunigt.